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Das ifeu (Institut für Energie und Umweltforschung) beschäftigt sich mit Themen wie Energie, Mobilität, Ernährung, Ressourcen und Abfallwirtschaft. Ziel ist es, Informationen und Wissen zum Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit aufzubereiten und zu verbreiten. Wir haben mit Benedikt Kauertz, Fachbereichsleiter Industrie und Produkte beim ifeu, über die aktuell dringendsten Aufgaben und Forderungen rund um Verpackungen gesprochen.

Im Dialog mit Benedikt Kauertz, Leiter des Fachbereichs Industrie und Produkte am Heidelberger ifeu.
Herr Kauertz, welche Themenfelder gehören aktuell zu den Top 3 Ihrer Arbeit?

Ein Top-Thema sind schon seit Jahren die Kunststoffe. Menschen kommen mit dem Gedanken zu uns, aus den Kunststoffen aussteigen zu wollen. Damit verzahnt sind die Themen nachwachsende Rohstoffe, bioabbaubare Kunststoffe und mittlerweile verstärkt auch das Thema Mehrweg. Oftmals beschäftigen sich Unternehmen mit der Frage, ein Einwegprodukt aus Kunststoff möglicherweise durch ein Mehrweg-Produkt auszutauschen und entsprechende Strukturen dafür aufzubauen.

Ein weiteres großes Thema ist die Erfüllung der internationalen Pflichten, wie beispielsweise den Berichtspflichten nachzukommen. Darüber hinaus beschäftigen wir uns mit Nachhaltigkeit, die sich auch über die Verpackung steuern lässt. So verzahnt sich die produktbezogene Ökobilanzierung mit der Klimabilanzierung.

Das führt dann auch zum Thema des ökologischen Footprints eines Unternehmens und wie es die ESG-Ziele erreichen kann. Alle diese Themen sind für Unternehmen relevant und alle lassen sich auf die Produktebene herunterbrechen. Denn jedes Unternehmen hat den Wunsch, ein gutes Produkt und eine gute Verpackung anzubieten. Dennoch läuft das manchmal in die falsche Richtung.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ja, beispielsweise, wenn eine flexible Kunststoffverpackung durch eine formstabile Einwegverpackung aus einem anderen Werkstoff ausgetauscht wird. Im schlimmsten Fall durch Glas oder Metall. Viel öfter haben wir aber den Fall, dass eigentlich bekannte Optimierungsmöglichkeiten gar nicht mehr in die Diskussion kommen.

Nehmen wir das Beispiel Oliven. Sie sind meist in einem Einwegglas mit einem Bajonettdeckel aus Weißblech verpackt. Die Oliven könnte man ohne Probleme in eine flexible Kunststofffolie verpacken, bislang ist das in Deutschland aber nur selten der Fall.

Seit das Kunststoff-Bashing angefangen hat, wagt sich keiner mehr, vom Einwegglas auf Einwegkunststoff zu wechseln, obwohl das für das Produkt und seine Verpackung ein großes Optimierungspotenzial wäre. Denn es gibt kaum eine Verpackungslösung, die einen so hohen Umweltfußabdruck mit sich bringt wie das Einwegglas mit dem Weißblechdeckel.
Warum ist das so?

Es sind schwere Verpackungsmaterialien, die sowohl in der Produktion als auch im Recycling sehr energieaufwändig sind. Die Materialien im Kreislauf zu halten und eine sekundäre Anwendung daraus zu machen, verursacht einen hohen ökologischen Fußabdruck.

Daher ist die Ökobilanz von Einwegglas oft schwierig, auch wenn die Recyclingfähigkeit sehr gut ist und bei nahezu 100 Prozent liegt. Aber man braucht hohe Temperaturen, um das Material zu schmelzen. Dazu ist viel Energie notwendig, zudem wird in der Glashütte oft Öl und Gas eingesetzt. Am Ende des Tages also der gleiche Rohstoff, den man auch für Kunststoff benötigt. Glasverpackungen sollten daher idealerweise Mehrwegverpackungen sein.
Dennoch liest man in den Medien immer wieder vom “bösen Plastik”. Wie stehen Sie dazu?

Alle, die sich mit der Bewertung von Verpackungen beschäftigen, wissen, dass Kunststoff seinen Platz bei den Verpackungsmaterialien hat. Dennoch gibt es diesen medialen Mainstream, der das Thema Kunststoff völlig anders bewertet und der sich teilweise beratungsresistent gegenüber wissenschaftlichen Fakten zeigt.

Die Vorteile von Kunststoff in der Verarbeitung können sich in der Ökobilanz widerspiegeln. Denn es wird relativ wenig Material zur Erfüllung einer funktionellen Einheit benötigt. Zudem ist Kunststoff leicht und tatsächlich kreislauffähig. Mindestens eine weitere Anwendung ist immer möglich.

Obwohl dem Recycling hin zu einem neuen Kunststoffprodukten immer ökobilanzieller Vorrang einzuräumen ist, kann die weitere Anwendung auch die thermische Verwertung sein. Denn Kunststoffe haben aufgrund ihrer üblicherweise hohen Brennwerte einen Nutzen als Sekundärrohstoff. Wenn so eine thermische Verwertung der Kunststoffe dann einen fossilen Energieträger mit einem geringeren Brennwert ersetzt, hat das positive ökobilanzielle Effekte.

Denn wenn ich ein Kunststoffprodukt verbrenne, bekomme ich aus einem Kilogramm mehr Energie heraus und setze weniger CO2 frei, als wenn ich die gleiche Menge Energie durch die Verbrennung von Braun- oder Steinkohle erreichen möchte. Diese Fakten sind in der Diskussion zwischen Wissenschaftlern, Unternehmen und Politik bekannt.
Wie blicken Sie aus Umweltberatungssicht auf die aktuelle Mehrwegpflicht?

Grundsätzlich zeigen Mehrwegverpackungen oft eine relativ gute ökobilanzielle Bewertung. Bei Materialgleichheit und wenn es in ähnlichen Wertschöpfungsketten läuft, ist eine Mehrwegverpackung eine gute Verpackung. Deshalb finden wir das erstmal begrüßenswert, wenn man Unternehmen davon überzeugen möchte, dass Mehrwegverpackungen für ihre Produkte eine gute Idee sind.

In der Ökobilanz sieht man aber auch, wo Mehrweg nicht ideal funktioniert. Nämlich dann, wenn es keine Rücknahmestrukturen gibt oder eine Vereinzelung von Mehrweg-Komponenten passiert. Das heißt, Sie haben Mehrweggebinde in einer Mehrwegumverpackung – das vereinzelt sich am Ende und es sind Austauschfahrten notwendig.

Die differenzierte Bewertung der Thematik Mehrweg findet medial aber kaum statt und auch kaum mehr Eingang in die politische Diskussion. Dort gibt es dann politische Vorgaben wie die Angebotspflicht für Mehrweg, beispielsweise für Kaffee, oder wie auf europäischer Ebene Überlegungen, dass jeder Getränkehersteller 20 Prozent Mehrweg herstellen muss.

Es werden also auf verschiedenen Ebenen Pflöcke eingeschlagen, die am Ende des Tages alle sehr viel Geld kosten. Auf der einen Seite machen diese sehr strikte Vorgaben. Auf der anderen Seite lassen sie aber wesentliche Aspekte wie die Regionalität oder das Thema Prozessoptimierung bei Mehrweg außen vor lassen. Mehrweg außerhalb eines regionalen Bereichs ist oft problematisch. Der Raum, in dem Mehrweg funktioniert, sollte regional begrenzt sein, damit die Transporte nicht allzu umfangreich werden. Darüber hinaus darf die Wiederaufbereitung der Mehrwegbehälter nicht aus dem Ruder laufen. Hier muss man auf allerhöchste Energieeffizienz achten. Alles muss optimiert sein, damit es auch optimal funktioniert.
Aber Verbote sind auch keine Lösung.

Generell muss sich die Politik über die Steuerungsinstrumente Gedanken machen. Man kann auf verschiedenen Ebenen steuern, aber Verbote und Gebote sind immer das härteste Steuerungsinstrument. Ich glaube, dass die Möglichkeiten durch Anreize als sanfteres Steuerungsinstrument bisher noch nicht ausgeschöpft wurden, genau wie die Möglichkeit, diese Dinge über Finanzmodelle zu steuern.

Eine Umverteilung von Geldern wäre hier sinnvoller als immer neue Belastungen wie beispielsweise eine Litteringabgabe. Die gesamte Finanzierung der Entsorgung der Verpackungsabfälle gehört auf den Prüfstand. Denn möglicherweise lässt sich durch andere Finanzierungsmodelle eine viel bessere Ökologie erreichen.

Oft erscheint es so, dass einige politische Akteure eher auf Umfrageergebnisse als auf Fakten vertrauen. Und wenn die Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bürger keine Einweg-Heißgetränkebecher mehr möchte, ist es für die Politik natürlich naheliegend, eine Angebotspflicht für Mehrwegbehältnisse zu etablieren.

Dass der Mehrwegbecher am Ende des Tages aber eine gut funktionierende Struktur braucht, damit kein ökologischer Rebound-Effekt auftritt, das ist im Gesetz nicht transportiert. Denn dort steht nichts von der Pflicht, eine strukturierte Rückgabemöglichkeit anzubieten. Und auch nichts darüber, dass wir uns über Vereinheitlichungen, Standardisierung und Poolführung Gedanken machen müssen.

Man kann der aktuellen Mehrwegpflicht auch mit einer reinen Insellösung genügen, bei der eine Verpackung ausschließlich im eigenen Lokal zurückgenommen wird. Das ist sicherlich gut für die Kundenbindung. Aber bei einem kleinen To-Go-Stand am Hauptbahnhof in Berlin ist wahrscheinlich die Anzahl der Becher, die wieder zurückkommt, relativ gering.
Und wie sieht es mit europaweiten Mehrwegsystemen aus?

Auch das ist eine Überlegung, der derzeit noch die wissenschaftliche Basis fehlt. Es ist nicht sachgerecht, für ganz Europa Mehrwegsysteme zu fordern, wenn man sich noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hat, wie die aktuelle Mehrwegstruktur in Europa überhaupt aussieht.

Wenn wir Mehrweg wollen, brauchen wir regionale Produktions- und Konsumstrukturen. Die große Frage ist aber, wie passt die europäisch geprägte Getränkewirtschaft hier hinein? Wie lassen sich beispielsweise die griechischen Inseln mit Mehrweg versorgen? Das sind Themen, die im Vorfeld einer solchen Maßnahme bewegt und auch öffentlich zugänglich gemacht werden sollten.

Ich beschäftige mich seit 17 Jahren mit dem Thema Einweg und Mehrweg und würde nicht behaupten, dass ich einen tiefen Einblick habe, wie Getränkeverpackungen in jedem Land der EU funktionieren. Aber ohne fundiertes Wissen sollten wir meiner Meinung keine europäische Mehrwegquoten vorschreiben.
Wie lässt sich dieses Thema besser angehen?

Wir brauchen im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme. Erst im zweiten Schritt lassen sich dann für all diese Märkte Maßnahmen entwickeln. Und wir müssen dabei differenziert vorgehen. Es sollte nicht heißen ‚Es muss System A und keinesfalls System B sein‘. Sondern Ziel muss es sein, die installierten Systeme A und B ökologisch zu optimieren, sodass sie künftig mindestens einen Standard XY erreichen. Wenn wir da hinkommen, dann haben wir wirklich etwas erreicht.

Ich bin sehr enttäuscht, dass wir so unter den Möglichkeiten bleiben. Denn wir haben in vielen Studien vorgerechnet, dass es keine pauschale Bewertung geben kann. Es gibt kein einziges Verpackungssystem, das wir bilanziert haben, das ein Allheilmittel ist und alles andere um Längen schlägt.
Lassen Sie uns zu dem Forschungsprojekt Innoredux kommen, bei dem Sie Geschäftsmodelle zur Reduktion von Plastikmüll entlang der Wertschöpfungskette untersucht haben. Welche Ergebnisse hat die Studie hervorgebracht und welche Trends leiten Sie daraus ab?

Innoredux war ein sehr vielfältiges Forschungsvorhaben mit einer unglaublich spannenden Diskussion, interessanten Akteuren und auch teilweise überraschenden Ergebnissen. Grundsätzlich ging es darum zu untersuchen, ob man auf Verpackungen verzichten kann. Dabei haben wir zum Beispiel auch den Onlinehandel betrachtet. Es war spannend, weil wir uns verschiedene Mehrwegprodukte für Versandverpackungen angeschaut haben.

Wir haben den ein- und zweilagigen Wellpappekarton mit den LDPE-Versandtaschen aus primärem Material und Rezyklat verglichen, die bei Modehändlern immer wieder im Einsatz sind. Wir haben uns extra darauf fokussiert, um diese Kunststoffversandtaschen als flexibles Produkt mit bewerten zu können gegenüber den Kartons. Zudem haben wir auch eine Kunststoffmehrwegbox untersucht. Es gibt Onlinehändler, die diese seit vielen Jahren erfolgreich einsetzt.

Darüber hinaus haben wir eine flexible Mehrweg-Versandtasche untersucht, die ebenfalls aus Kunststoff besteht. Wenn diese entleert ist, lässt sie sich ganz klein zusammenrollen und mit der Post zurückschicken. Sie ist auf eine optimierte Re-Logistik ausgerichtet.

Dieses Prinzip ähnelt dem von Klappboxen von Obst- und Gemüsesteigen. Diese lassen sich gut stapeln und zurückschicken, wodurch am Ende eine tolle Transporteffizienz auf der Re-Distribution erzielt wird. Und das ist am Ende der Schlüssel für ein optimiertes Mehrwegsystem.

Und was ist Ihr Fazit?

Wir haben schnell gesehen, dass die Distribution bei dem Mehrwegsystem eine große Rolle spielt. Eine starre Box ist kritisch, weil man hohe Transportdistanzen und viel Transportvolumen bei einem geringen Gewicht hat. Die zusammenrollbare Verpackung und damit einhergehende Optimierung der Re-Distribution hat bereits bei geringen Umlaufhäufigkeiten für eine vergleichsweise gute Ökobilanz gesorgt.

Zudem haben die flexiblen Beutel einen geringen Nutzwert für die Konsumenten, daher werden sie auch tatsächlich zurückgeben. Hier gibt es große Unterschiede zwischen dem B2B-Bereich und dem B2C-Bereich.

Während Händler froh sind, wenn die Boxen schnell wieder aus ihrem Lager sind, nutzen Konsumenten die starren Kisten auch gerne noch für andere Zwecke. Sie machen sich keine Gedanken darüber, dass der Händler für diese zwischengenutzte Kiste eine neue kaufen muss. Darunter leidet die Pool-Umlaufzahl.

Dabei ist das Beschleunigen von Mehrweg ist ein ganz großer Schlüssel. Das haben wir bei dem Innoredux-Projekt gelernt und diese Erkenntnisse setzen wir jetzt in anderen Forschungsprojekten weiter um. Wir beschäftigen uns intensiv mit den Möglichkeiten, um die Rücknahme von Mehrweg zu verbessern.

Zudem hat das Projekt gezeigt, wie wichtig es ist, das Thema Verpackungen in die Unternehmensstrategie zu integrieren. Dazu haben wir einen Unternehmensleitfaden entwickelt, der Unternehmen zeigt, wie sie für sich eine Verpackungsstrategie entwickeln.
Was wünschen Sie sich von der Politik?

Die Politik soll Anreize schaffen und weniger auf Vorgaben und Verbote setzen. Die politischen Entscheidungen sollten dabei stets faktenbasiert sein und wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden. Deshalb gibt es das ifeu, deshalb berechnen wir diese Dinge und fassen sie in verständliche Worte. Wir würden es sehr zu schätzen wissen, wenn politische Entscheidungsträger unsere Angebote deutlich öfter nutzen würden.

Ich sehe bei Unternehmen und privatwirtschaftlichen Stakeholdern einen großen Wissensdurst, die tatsächliche Faktenlage zu kennen. Diese Offenheit erwarte ich auch von der Politik – und dass sie sich die notwendige Kompetenz einkauft und sich beraten lässt. Ich wünsche mir sehr, dass sie nicht auf den medialen Mainstream aufspringt, nur weil eine NGO das Thema Kunststoff plakativ in den Vordergrund rückt.

Die Politik sollte analysieren und Dinge umsetzen, auf die sie Einfluss hat. Basierend darauf soll sie Entscheidungen treffen, etwa um Littering im Pazifik aus unserem Handlungsspielraum heraus zu verhindern. Und nicht mit Verboten und Vorgaben, die dort überhaupt nicht helfen. Es ist doch viel sinnvoller, hier ein Förderprogramm für ökologisch optimierte Verpackungen aufzusetzen und mit Blick auf die Probleme in Asien Gelder zum Aufbau eines dort passenden Abfallwirtschaftssystem zur Verfügung zu stellen und die dort vorhanden Projekte zu fördern. Neben der öffentlichen Hand sollten sich daran auch die in diesen Märkten aktiven Unternehmen beteiligen.

Abschließend lässt sich sagen, dass das Thema Verpackung, Reduktion und Optimierung von Verpackungen sowie Senkung der Umweltauswirkungen von Verpackungen ein gesamtgesellschaftliches Thema werden muss. Die Politik muss Anreize schaffen. Unternehmen müssen das für sich in ihren Verantwortungsbereich ziehen und gute Verpackungen für ihre Produkte entwickeln.

Gesamtgesellschaftlich müssen wir zu einer Kultur kommen, in der es nicht in Ordnung ist, seinen Einwegbecher auf dem Stromkasten stehen zu lassen oder seinen Müll in den Wald zu werfen. Alle Akteure müssen ihren Beitrag leisten. Wir müssen in die Zukunft denken – und die kann sicherlich gut werden – aber dazu müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten, und zwar mit viel Kraft.

www.kunststoffverpackungen.de

 


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