Forschungsteam unter Leitung der Universität Göttingen entwickelt neue Machine-Learning-Methode
Granulares Material ist überall um uns herum: Beispiele sind Sand, Reis, Nüsse, Kaffee und sogar Schnee. Diese Materialien bestehen aus festen Teilchen, deren Zustand durch mechanische Einflüsse bestimmt wird: Durch Schütteln entstehen „granulare Gase“, während man durch Komprimieren „granulare Feststoffe“ erhält. Ein ungewöhnliches Merkmal solcher Festkörper ist, dass sich die Kräfte innerhalb des Materials auf im Wesentlichen linearen Bahnen konzentrieren, die als Kraftketten bezeichnet werden und deren Form der eines Blitzes ähnelt. Forscher unter der Leitung der Universität Göttingen haben mit Hilfe von maschinellem Lernen und Computersimulationen die Position von Kraftketten vorausgesagt. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
Wo sich Kraftketten bilden, hängt auf komplizierte Weise davon ab, wie die einzelnen Teilchen interagieren. Daher ist es schwierig, vorherzusagen, wo sich Kraftketten bilden werden. Durch die Kombination von Computersimulationen und künstlicher Intelligenz haben Forscher des Instituts für Theoretische Physik der Universität Göttingen und der Universität Gent ein neuartiges Werkzeug entwickelt. Damit können sie vorhersagen, wo Kraftketten in granularer Materie entstehen; die Methode lässt sich hierbei unabhängig davon anwenden, ob Reibung zwischen den Teilchen wichtig ist oder nicht. Der Ansatz verwendet eine maschinelle Lernmethode, die als Graph Neural Network (GNN) bekannt ist. Solche Netzwerke können anhand von Daten zu Beispielsystemen trainiert werden, um dann die Position von Kraftketten vorherzusagen, die bei der Verformung eines granularen Systems entstehen.
„Das Verständnis von Kraftketten ist entscheidend, um die mechanischen Eigenschaften und die Transporteigenschaften von granularen Festkörpern zu beschreiben“, sagt Dr. Rituparno Mandal vom Institut für Theoretische Physik der Universität Göttingen. Dies gilt für eine Vielzahl von Situationen: zum Beispiel, wenn sich Schall in einem granularen Material ausbreitet oder wenn Sand oder eine Packung Kaffeebohnen auf Verformung durch Druck oder Bewegung reagieren. „Eine aktuelle Studie legt sogar nahe, dass Lebewesen wie Ameisen die Wirkung von Kraftkettennetzwerken ausnutzen, wenn sie Erdkörner für einen effizienten Tunnelaushub entfernen.“
„Wir haben mit verschiedenen, auf maschinellem Lernen basierenden, Werkzeugen experimentiert und festgestellt, dass ein trainiertes GNN bemerkenswert gut aus Trainingsdaten verallgemeinern kann, so dass es in der Lage ist, Kraftketten in neuen unverformten Proben vorherzusagen“, sagt Mandal. „Wir waren fasziniert davon, wie robust die Methode ist: Sie funktioniert außergewöhnlich gut für viele Arten von computergenerierten granularen Materialien. Wir planen derzeit, diese Methode auf experimentelle Systeme im Labor auszuweiten“, fügt Corneel Casert, Erstautor von der Universität Gent, hinzu. Prof. Dr. Peter Sollich vom Institut für Theoretische Physik der Universität Göttingen, erklärt: „Die Effizienz dieser neuen Methode ist für verschiedene Szenarien mit unterschiedlicher Systemgröße, Partikeldichte und Zusammensetzung der verschiedenen Partikeltypen überraschend hoch. Sie wird nützlich sein, um Kraftketten für viele Arten granularer Materie und Systemen zu verstehen.“
Die Studie wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union im Rahmen eines Marie Skłodowska-Curie-Stipendiums ermöglicht.
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