Forschungsverbund startet Messkampagne zu hydro-meteorologischen Extremen im Bereich der Schwäbischen Alb
Extreme Wetterereignisse wie starke Gewitter, Hagel oder Hitzeperioden haben in den letzten Jahren auch in Deutschland zugenommen und verursachen teils große wirtschaftliche und infrastrukturelle Schäden. Die komplexen physikalischen Prozesse, die beim Entstehen dieser Wetterereignisse ablaufen, untersucht die Helmholtz-Initiative MOSES, an der auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beteiligt ist. Ziel der nun startenden und vom KIT koordinierten Messkampagne „Swabian MOSES“ ist es, die Ursachen, Auswirkungen und Wechselwirkungen hydro-meteorologischer Extreme ganzheitlich zu untersuchen. Im Untersuchungsgebiet in Baden-Württemberg treten sowohl Gewitter als auch Hitze- und Dürreperioden häufig auf.
Um die Auswirkungen meteorologischer und hydrologischer Extreme auf die langfristige Entwicklung von Erd- und Umweltsystemen zu untersuchen, bauen neun Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft das mobile und modular einsatzfähige Beobachtungssystem MOSES (Modular Observation Solutions for Earth Systems) auf, das bis 2022 vollständig einsatzfähig sein soll. Testkampagnen sind ein wichtiger Teil dieser Aufbauarbeit, denn es gilt die neuen Messsysteme im mobilen Einsatz zu prüfen, weiterzuentwickeln und aufeinander abzustimmen. Zwei dieser Kampagnen zu unterschiedlichen Fragen und in unterschiedlichen Untersuchungsgebieten sind bislang für das Jahr 2021 geplant – im Bereich der Schwäbischen Alb und auf der Elbe.
Im Mai startet die Messkampagne „Swabian MOSES“ im Bereich der Schwäbischen Alb und des Neckartals in Baden-Württemberg, die voraussichtlich bis Mitte September läuft und vom KIT koordiniert wird. In deren Mittelpunkt stehen zwei hydro-meteorologische Extreme – Trockenheit und Starkniederschlag. So führte die Häufung von mehrwöchigen Trockenperioden in den Jahren 2018 bis 2020 dazu, dass im letzten Jahr der Grundwasserspiegel auf einen historischen Niedrigstand sank und viele Flüsse ein ausgeprägtes Niedrigwasser führten – mit erheblichen Einschränkungen für Schifffahrt, Bewässerung und Kraftwerkskühlung.
„Aufgrund ihrer komplexen Topographie und geographischen Lage ist die Untersuchungsregion besonders häufig auch von schweren Gewitterereignissen betroffen“, sagt Professor Michael Kunz vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Department Troposphärenforschung (IMK-TRO), einer der Koordinatoren des Projekts. „Ein Hagelsturm genau in unserem Untersuchungsgebiet im Juli 2013 beispielsweise, bei dem Hagelkörner mit einem Durchmesser von bis zu 10 Zentimetern beobachtet wurden, verursachte Schäden von etwa einer Milliarde Euro.“ Die mit Gewittern einhergehenden Starkniederschläge können zudem lokale Sturzfluten an Hanglagen oder in flächenversiegelten urbanen Bereichen verursachen, die nicht nur zu erheblichen Schäden, sondern auch zu einem massiven Sediment- und Schadstofftransport in Gewässern führen.
Mit verschiedenen Messsystemen beteiligt sind neben dem federführenden Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT auch das Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) aus Leipzig, das Forschungszentrum Jülich (FZJ), die Universität Hohenheim, die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Technische Universität Braunschweig, das Helmholtz Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie der Deutsche Wetterdienst (DWD).
Auswirkungen von Gewittern auf Atmosphäre, Klima und Ökosysteme
Das KIT setzt sein mobiles Observatorium KITcube ein. „Der KITcube liefert detaillierte Informationen über den Zustand der Atmosphäre bei der Entstehung und Entwicklung von Gewittern, dem ersten Schwerpunkt der Messkampagne“, so Dr. Andreas Wieser, wissenschaftlicher Direktor des KITcube. „Dies gelingt durch die Kombination modernster Fernerkundungsgeräte und einer Vielzahl im Messgebiet verteilter lokaler Messsysteme.“ Dazu zählen unter anderem ein hochmodernes Wolkenradar, ein Niederschlagsradar, ein Netzwerk aus Lidaren, mit denen atmosphärische Luftströmungen mithilfe von Lasern erfasst werden können, Wetterballons und Wetterstationen. Eine neuartige mobile Wolkenkammer des KIT misst die Menge an eisbildenden Partikeln, die in Gewitterwolken für die Niederschlags- und Hagelbildung mitverantwortlich sind. Erstmalig erprobt das KIT zudem kleine Schwarmsonden, die innerhalb einer Gewitterwolke die Windverhältnisse und damit auch die Bahnen von Hagelkörnern nachbilden, um die Wachstumsprozesse der Niederschlagsteilchen, insbesondere von Hagel, besser zu verstehen.
Die Universität Hohenheim betreibt während der Kampagne am Land-Atmosphäre Feedback Observatorium (LAFO) ihr Netz aus Bodenfeuchte- und Energiebilanzstationen zur Messung von Energie-, Feuchte- und CO2-Flüssen in Bodennähe, sowie mehrere moderne Lidar-Fernerkundungsgeräte, die gleichzeitig die Verteilung der Luftfeuchtigkeit, der Temperatur und des Windes sowie deren Fluktuationen in der Atmosphäre messen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich lassen Ballonsonden bis in 35 Kilometer Höhe steigen, um unter anderem zu ermitteln, wie sich Gewitter langfristig auf das Klima auswirken. Der DWD führt am Standort Stuttgart-Schnarrenberg zusätzliche Ballonaufstiege durch, sodass Informationen über wichtige Wetterparameter im Vorfeld von Gewittern gewonnen werden. Zwei Forschungsflugzeuge der Technischen Universität Braunschweig sammeln Daten in Gewitternähe während drei Wochen im Juni und Juli. An Bord integrierte Messgeräte erlauben die Bestimmung von Energie- und Feuchteflüssen innerhalb der Atmosphäre. Eingebaut ist zudem ein vom KIT entwickeltes Lidar, das vertikale Windprofile entlang der Flugstrecke erfasst, welche Rückschlüsse auf die Strömung in den Entstehungsgebieten von Gewittern ermöglichen.
Den Einfluss von Starkregen und Überflutungen auf die Stofffrachten von Fließgewässern untersuchen Forschende der Universität Tübingen und des UFZ. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den gelösten und partikelgebundenen Schadstoffen, die durch Starkregen aus verschiedenen Quellen in Gewässer gelangen, und der daraus resultierenden Toxizität für das aquatische Ökosystem. Ziel der Untersuchungen ist die Erfassung der Stoffeintragspfade in hydrologisch verschiedenen Einzugsgebieten, welche sich in Landnutzung und Urbanisierungsgrad unterscheiden, sowie die Erfassung der Wasserqualität. Ein Teil der Proben wird am UFZ auf organische Schadstoffe und deren Mischungstoxizität untersucht. In Zusammenarbeit mit dem KIT untersuchen die Forschenden zudem den Austausch von Treibhausgasen zwischen Fließgewässern und der Atmosphäre.
Entwicklung von Hitze- und Dürreperioden in der Region
Um die Auswirkungen von Hitze- und Dürrestress auf landwirtschaftliche Flächen der Schwäbischen Alb zu erfassen, werden seitens des KIT an mehreren Standorten Messstationen errichtet, die den Energie- und Stoffaustausch zwischen den betroffenen Ökosystemen und der Atmosphäre quantifizieren. Das GFZ ergänzt diese Messungen aus der Luft über entsprechende an Drohnen befestigte Sensoren. Zusätzlich installiert das KIT mehrere Aerosolmessgeräte, um Zusammenhänge zwischen deren Verteilung und Hitze- und Dürreperioden zu erforschen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des UFZ untersuchen die Dynamik der Bodenfeuchte als eine zentrale Steuergröße für den Abfluss des Regenwassers sowie für die Dürreentwicklung. Dazu installiert das UFZ während der Messkampagne mobile, drahtlose Sensornetzwerke, welche die Bodenfeuchte und -temperatur in verschiedenen Tiefen messen. Um großräumige Variationen der Bodenfeuchte zu beobachten, kommt zusätzlich ein Geländefahrzeug mit speziell entwickelten Neutronensensoren (Cosmic Ray Rover) zum Einsatz. Das DLR erfasst die oberflächennahe Bodenfeuchte zusätzlich mit Radar-Flugzeugmessungen. Die Forschenden setzen hierfür innovative Abbildungsverfahren ein und erproben neue Algorithmen. Um in den Boden einzudringen, verwenden sie langwellige elektromagnetische Wellen, die abhängig von der Bodenfeuchte und der Vegetation ein charakteristisches Signal abbilden. Die Ergebnisse dienen auch dem Vergleich der verschiedenen Messmethoden im Hinblick auf ihre Genauigkeit.
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