Thünen-Institut, Dachverband Deutscher Avifaunisten und Uni Göttingen haben das Potenzial von Citizen-Science-Daten untersucht
Die Artenvielfalt in Deutschland nimmt dramatisch ab – besonders in der Agrarlandschaft. Um stark zurückgehende Arten frühzeitig zu identifizieren und Schutzmaßnahmen entwickeln zu können, sind verlässliche Daten zur Häufigkeit von Tier- und Pflanzenarten von entscheidender Bedeutung. Am Beispiel der Vogelwelt haben Forscherinnen und Forscher nun überprüft, inwieweit Erhebungsdaten von Hobby-Vogelkundlern Ergebnisse aus Monitoring-Programmen sinnvoll ergänzen können.
Im Rahmen des Brutvogel-Monitorings wird seit 1990 alljährlich die Häufigkeit der Vögel in Deutschland auf über 1700 Probeflächen von je einem Quadratkilometer Größe nach festen Regeln erfasst. Die Probeflächen sind von den Alpen bis zur Küste verteilt. Koordiniert wird das Monitoring vom Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA).
Ein standardisiertes Monitoring dieser Größenordnung ist allerdings nur mit viel Aufwand zu organisieren und kostet viel Geld. Daher gewinnen weitere Datenquellen an Bedeutung. Mit zunehmender Digitalisierung sind in den vergangenen Jahren viele Online-Portale und Apps entstanden, in die jedermann jederzeit seine Beobachtungen eingeben kann – sei es eine Blaumeise am Futterhaus, ein Schwarm Kraniche im Naturschutzgebiet oder eine Feldlerche auf dem Weizenfeld. Diese Art der Datensammlung birgt großes Potenzial.
In das deutschlandweite Portal www.ornitho.de haben interessierte Bürgerinnen und Bürger seit 2011 mehr als 50 Millionen Vogelbeobachtungen eingegeben, weitere Daten fließen in globale Portale wie ebird.org und observation.org. ein. Allerdings können diese weniger strukturierten Daten Änderungen in der Vogelwelt verzerrt wiedergeben. Beispielsweise werden viele Beobachtungen in solchen Regionen gemeldet, in denen auch viele Menschen wohnen. Hinzu kommen selektive Vorlieben: Der eine interessiert sich nur für Greifvögel, die andere meldet nur Haubentaucher.
Forschende des Thünen-Instituts, des DDA und der Universität Göttingen sind der Frage nachgegangen, ob die strukturierten Daten aus dem Brutvogel-Monitoring und die weniger strukturierten, aber vergleichsweise kostengünstig zu erhaltenden Daten aus den genannten Online-Portalen gemeinsam gewinnbringend genutzt werden können. Ihre Untersuchung haben sie jetzt in der Fachzeitschrift Diversity and Distributions veröffentlicht.
„Die unterschiedlichen Datenquellen haben wir mithilfe von innovativen statistischen Verfahren zusammen analysiert, also integriert, und zeitliche Veränderungen in der Häufigkeit von 26 Agrarvogelarten untersucht, von der häufigen Goldammer bis zum gefährdeten Kiebitz“, erläutert Dr. Lionel Hertzog vom Braunschweiger Thünen-Institut für Biodiversität. „Bei Einbindung der riesigen Menge unstrukturierter Daten aus Online-Portalen stieg die Präzision. Trends in der Zu- oder Abnahme der Bestände sind damit früher und mit größerer Genauigkeit zu ermitteln“. Dies sei eine wichtige Voraussetzung für die Politikberatung und das rechtzeitige Ergreifen von Schutzmaßnahmen. Auch erscheine es möglich, Aussagen zu Häufigkeitsänderungen seltener Arten zu treffen, die in standardisierten Monitoring-Programmen bisher kaum erfasst wurden. Schließlich könnten mithilfe der Daten aus Online-Portalen auch regionale Bestandsentwicklungen besser abgebildet werden.
Jedoch seien unstrukturierte Daten aus online-Portalen kein vollwertiger Ersatz für ein gut geplantes, wissenschaftliches Monitoring-Programm, so die Einschätzung von Prof. Dr. Johannes Kamp von der Universität Göttingen, der als Beiratsmitglied auch den DDA vertritt. Die Kombination dieser Daten mit standardisierten Erhebungen hätte aber großes Potenzial, denn Aussagen zu Häufigkeitsänderungen vieler Arten ließen sich auf diese Weise präzisieren.
Die Untersuchungen wurden im Projekt „Monitoring der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften“ (MonViA) mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. Das bundesweite Vogelmonitoring wird vom Bundesamt für Naturschutz aus Mitteln des Bundesumweltministeriums und der Umweltministerien der Länder unterstützt.
www.uni-goeetingen.de