Natürliches Tageslicht unterstützt den Biorhythmus, macht wach und leistungsfähig. Darum bevorzugen Menschen von Tageslicht durchflutete Lebens- und Arbeitsräume. Im Klimawandel wächst durch längere und stärkere Hitzeperioden jedoch gleichzeitig der Klimatisierungsbedarf in Gebäuden.
Die Glasindustrie bietet mit hochselektiven Schichtsystemen Lösungen an, die eine hohe Tageslichttransmission und gleichzeitig sommerlichen Hitzeschutz ermöglichen, was die Klimalast senkt und die Zeiträume reduziert, in denen verschattet werden muss. Für die wachsenden Herausforderungen im Klimawandel kann dieses aber nur ein Baustein von vielen sein. Welche Ansätze Planer und Architekten in puncto „Klimaanpassung“ sehen, diskutiert die glasstec 2024 (22.-25. Oktober, Düsseldorf) auf ihrem Architekturforum. Um das Thema vorab zu beleuchten, hat der Autor im Auftrag der Messe bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und auch beim renommierten Planer Arup nachgefragt.
2023 war mit Abstand das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, meldete die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) jetzt in ihrem aktuellen Klimabericht: Die global gemittelte Durchschnittstemperatur lag rund 1,45 Grad über dem Niveau vor der Industrialisierung. Der europäische Klimawandeldienst Copernicus ermittelte eine Erwärmung um 1,48 Grad. Wo Klimaforscher angesichts des sich beschleunigenden Klimawandels zu Recht die „Alarmstufe Rot“ ausrufen, wird klar, dass es in vielen Städten, insbesondere in „Urban Heat Spots“ künftig noch sehr viel heißer wird. Dies sind städtische Gebiete, in denen Wärmeinseleffekte auftreten, die Temperaturen liegen hier deutlich über denen umliegender ländlicher Gebiete. Die Anpassung städtischer Räume und ihrer Bebauung an wachsende Anforderungen ist zwingend notwendig und nachhaltige Lösungen sind gefordert.
Klimaanpassung als interdisziplinäre Querschnittsaufgabe
Das Thema „Klimaanpassung“ ist auch für die deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ein relativ neues Feld, was sich in der aktuellen Dynamik der Gesetzgebung diesbezüglich von EU- bis Bundesländerebene spiegelt. Eva-Maria Stumpp aus der Forschung und Entwicklung der DGNB erläutert: „Wir sehen hier eine interdisziplinäre Querschnittsaufgabe, die Architektur- und Ingenieurswissenschaften, aber auch die Biologie, Soziologie, Medizin und weitere Disziplinen betrifft und starke gesellschaftliche und partizipative Aspekte hat.“ Werden Städte, Quartiere, Gebäude oder auch nur Gebäudeteile geplant, arbeitet die DGNB an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Disziplinen und Anforderungen aus der Praxis, in einem aktuell sehr dynamischen gesetzlichen Rahmen. „Besonders bezüglich Hitze und Dürre, Niederschlag und Hochwasser, versuchen wir geprüft wirksame, praktikable und klimaschützende Handlungsansätze zu entwickeln, die künftig zu noch besseren Gebäuden führen. Die gute Nachricht dabei ist: Zumindest für Deutschland lässt sich sagen, dass sorgfältig und regelkonform geplante Gebäude aufgrund hoher Baukultur und Sicherheitsanforderungen bereits sehr gut für klimatische Herausforderungen, auch zukünftige, aufgestellt sind. Denn der Schutz vor Umwelt- und Witterungseinflüssen ist seit jeher ein Kernaspekt beim Bau von Gebäuden und Siedlungen“, erläutert Stumpp. Einen Beitrag hierzu leistet seit langem auch die Flachglasindustrie, die gutes „Rüstzeug“ für die Steuerung des Energie- und Tageslichteintrages im Portfolio hat.
Führende Hersteller bieten zum Beispiel hochselektive Sonnenschutzgläser, die einen Großteil der aufheizenden Infrarotstrahlen des Sonnenlichts reflektieren und gleichzeitig das Gros des sichtbaren Tageslichts in den Raum transmittieren. So lässt sich die Klimalast über die Fassade reduzieren und die sommerliche Verschattung auf kürzere Tageszeiträume beschränken. Auch „Closed Cavity Fassaden“ mit innenliegender Verschattung oder elektrochrome Verglasungen können den Licht- und Energieeintrag sinnvoll optimieren. Im Zuge des sich verstärkenden Klimawandels werden jedoch weitere Maßnahmen notwendig, um Städte lebensfähig, funktional und wohlhabend zu erhalten, sonst drohen wetterbedingte Todesfälle, z.B. durch anhaltende Hitzewellen, und wirtschaftliche Verluste durch klimabedingte Extreme. Diese Anpassungen sind oft ein lokalisierter Prozess, der die örtlichen geografischen, klimatischen, soziodemografischen und wirtschaftlichen Faktoren berücksichtigen muss. „Noch nicht ausreichend genutztes Potenzial steckt in passiven und natur-basierten „no-regret“ Lösungen“, so Stumpp. „Es gilt, kurz- und mittelfristige Klimaanpassungsmaßnahmen umzusetzen, ohne langfristige Klimaschutzziele zu kompromittieren.“ Oft ist „infrastrukturelles Grün“ eine Lösung, um die Stadtlandschaft zu „reparieren“ und messbare Verbesserungen fürs Stadtklima zu erzielen, wie zahlreiche Studien belegen. Das haben auch Rating-Agenturen erkannt, die zunehmend die Bereitschaft der Städte zum Wandel belohnen, wenn diese beispielsweise für mehr Biodiversität sorgen und neue Grünflächen schaffen, Diese Maßnahmen wirken sich positiv auf das Klima, Mikroklima und die Lebensqualität aus, wie auch auf Kreditvergaben und die Bereitstellung öffentlicher Mittel.
Glasarchitektur und infrastrukturelles Grün
Wo Grün sich in Parks, Höfen und Vorgärten ausbreitet und auch Fassaden und Dächer erobert, sorgt es für Verdunstungskälte und Schatten und senkt so die lokalen Temperaturen. Begrünungen sind damit ein wirksames Mittel der architektonischen und städtischen Planung, davon ist auch Rudi Scheuermann überzeugt, der bei Arup das „Cities Business“ in Deutschland leitet, mit einem Fokus auf die Gestaltung nachhaltiger und resilienter Städte. Arup, seit rund 30 Jahren auf dem deutschen Markt tätig, ist einer der großen und international tätigen Planer für leistungsstarke Gebäude und Infrastruktur, zudem hat man sich verpflichtet, zur Realisierung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beizutragen. Scheuermann betrachtet Gebäude
ganzheitlich: Dämmung, Lüftung, Materialien, Anschlüsse etc. und spricht sich für die Integration von Pflanzen in Fassaden und für Dachbegrünungen aus: „Durch Pflanzen im umgebenden Raum, in der Fassade und auf Dächern lässt sich die thermische Masse am Tage besser beschatten, nachts sorgt das für eine bessere Auskühlung. Pflanzen filtern zudem Feinstaub und binden CO2, sodass es möglich und sinnvoll ist, in ihrer Umgebung natürlich zu lüften. Ein wichtiger Faktor vor allem in Städten ist auch, dass sie akustikdämpfend wirken und den „Stresslevel“ senken.“ Bei der Fassaden- und Dachbegrünung sieht Scheuermann klare Vorteile im Gebäudekonzept: „Pflanzen sorgen auf dem Dach für Verdunstungskälte, Schatten und eine deutliche Senkung der Temperaturen, darum können Klimaanlagen auf Gründächern deutlich kühlere Luft ansaugen und vorab kleiner dimensioniert werden – der Energiebedarf sinkt ebenso wie der CO2-Ausstoß des Gebäudes im Betrieb. Gebäude mit begrünten Fassaden und Dächern benötigen durch die erhöhte Windlast etwas mehr Stahleinsatz und ein gut geplantes Bewässerungssystem. Regen und das im täglichen Betrieb anfallende Grauwasser reichen in der Regel aber für die komplette Bewässerung. Essentiell wichtig ist die Auswahl der Pflanzen nach Region und Mikroklima, damit sie ganzjährig den örtlichen klimatischen Einflüssen trotzen und von den hiesigen Insekten bewirtschaftet werden können. Anschließend hat es sich bewährt die Pflanzen‚ einfach mal machen zu lassen‘ und sie nicht zu sehr in ihrem Wuchs einzuschränken.“
Das Thema „Klimaanpassung“ ist eines der großen Themen der diesjährigen glasstec, der internationalen Leitmesse für die Glasindustrie, das auch auf dem Architekturforum der Messe im Oktober 2024 diskutiert werden wird.
www.glasstec.de